Derzeit kursiert dieses Bild massiv auf Facebook: Gegenübergestellt wird der Platz, den man braucht, um 60 Menschen zu transportieren. Am wenigsten Platz braucht der Bus, am zweit wenigsten die Fahrräder. Und die Autos brauchen natürlich den meisten Platz. Grüne posten das Foto nun landauf, landab, um ihre Autofahrer-feindliche Politik zu rechtfertigen. Freilich hat das Ganze einen Schönheitsfehler.
Zeigen Bild 2 (Bus) und 3 (Fahrräder) den selben Bildausschnitt, wird in Bild 1 (Autos) ein wesentlich kleinerer Bildausschnitt gewählt, wodurch der Platzverbrauch der Autos im Verhältnis wesentlich größer erscheint. Auf dem Bild oben ist der Bereich, in dem auf Bild 1 die Autos stehen, auf Bild 2 hervorgehoben – und macht nur etwa die Hälfte des Bildes aus.
Betrachtet man nun das Größenverhältnis von Autos und Bus, so wird man überrascht feststellen, dass der Bus etwa die Länge von 1 1/2 Autos verbraucht. Beachtet man, dass die dargestellten Autos eine Länge von je ca. 4 1/2 Metern haben und Stoßstange an Stoßstange stehen, während der Bus ca. 11 bis 12 Meter misst, so sollten sich statt eineinhalb fast doppelt so viel Autos daneben ausgehen.
Besonders skurril wird der Vergleich, wenn man das Autobild mit dem Fahrradbild vergleicht. Die hintereinander gestellten Fahrräder (bei 6 Reihen also je 10 Stück, bei 7 Reihen 8 bis 9 Stück) sind gerade einmal so lang wie 2 Autos. 2 Autos kämen auf rund 9 Meter, 10 Fahrräder auf rund 18 Meter (also das Doppelte), 8 Fahrräder immer noch auf 14,4 Metern. Erreicht wird diese Verzerrung einerseits durch den unterschiedlichen Bildausschnitt, andererseits dadurch, dass die Fahrräder weiter hinten platziert werden und daher durch die Perspektive wesentlich kleiner wirken.
Da ist es nur ein Nebenaspekt, dass beim Bus Vollbesetzung angenommen wird, während die Autos mit je 5 Sitzplätzen nur mit einer (oder 1 1/2) Personen besetzt werden.
Bildmanipulation funktioniert also auch ganz ohne Photoshop. Und gerade die sonst auf politische Ethik und Transparenz bedachten Grün-Aktivisten machen sich das gerne zu Nutze.
P.S.: Weitere Beispiele zur Bildsprache in meiner Bakk-Arbeit zur Demokratisierung des “iconic turn” (PDF).
NACHTRAG:
Die Manipulation geht übrigens weiter als ursprünglich angenommen. Wie die Stadt Münster selbst hier belegt:
- Das Bild stammt aus 1990 – nicht 2001.
- Die verfälschte Perspektive wurde erst nachträglich montiert.
- Es geht um 72, nicht 60 Personen (die dann schwerlich in einen Bus passen).
- Es werden sogar noch mehr Autos abgebildet (also wohl tatsächlich für 1 Person pro Auto).
Was haben die Grünen mit dem Bild zu tun, außer, dass es von Leuten gepostet wird, die du für Grün hälst? Das Bild stammt von der Stadt Münster, und die ist – mit fünf Jahren Unterbrechung – seit 1950 durchgegehend konservativ (CDU & Zentrum) regiert.
Zumal die optische Verzerrung noch nicht einmal nötig wäre, es reicht ein Blick in jedes Lehrbuch zur Dimensionierung von Straßenverkehrsanlagen, um zu wissen, dass der Platzbedarf zwischen PKW, ÖPNV und Fahrrad differiert (und von PKW über ÖPNV bzw Fahrrad (und weiter zum Fußgänger) abnimmt). Warum die Stadt Münster das Bild trotzdem manipuliert hat wissen die wohl nur selbst, für die Korrektheit der angestrebten Grundaussage wäre das nicht nötig.
zurpolitik.com hat sich deinem Blogbeitrag angenommen und die Angelegenheit genauer betrachtet.
Es ist letztlich richtig, den motorisierten Individualverkehr zurückzudrängen und den Öffentlichen Verkehr und das Rad zu fördern – nicht nur aus gesundheitlichen und Umweltschutzgründen.
Dass das der AutofahrerInnenpartei ÖVP, die sich gegen all mögliche Fahradprojekte wehrt (Stichwort “Fahrradautobahn”) oder Beschleunigung der Öffis und dir als braver ÖVP-Parteisoldat das bitter aufstößt, ist wenig verwunderlich. 😉
http://zurpolitik.com/2012/01/26/wie-viel-platz-brauchen-bus-auto-und-rad-in-der-stadt/
Mir ist klar: Wenn man grundsätzlich die Grünen nicht so gern hat und deren Lobhudelei des Rads skeptisch gegenübersteht, dann kann einem dieses Bild – tausendfach auf Facebook geteilt – sauer aufstoßen und dann geht man eben daran, es analytisch zu sezieren. [Hut ab vor Ihrer Recherche.]
Die Frage ist aber: Wird man damit der Absicht jener gerecht, die das Bild teilen? Das ist doch das, was in Ihrer BakkArbeit verhandelt wird: Die Demokratisierung des iconic turn. Das bedeutet eben auch, dass jeder User die Macht der Bilder für seine Message einsetzen kann. Und Bilder sind eben nicht nur Darstellungen wissenschaftlicher Daten, sondern können auch Visualisierung der eigenen Lebenswelt sein. Letzteres sind sie für diejenigen, die es auf Facebook teilen, wohl eher. Sprich: Es geht nicht um genaue Daten, sondern man zeigt eine Unzufriedenheit mit der Situation, wie gegenwärtig die Sache mit den Autos im urbanem Raum gelöst ist. (Und damit sind ja wohl alle unzufrieden.)
Und damit sind wir auch dort, warum der “iconic turn” noch immer nicht ganz in der Kommunikationswissenschaft angekommen ist. Das liegt weniger – wie Sie schreiben – an theoretischen Defiziten, sondern an der pragmatischen Problematik: Ein Bild und seine Verwendung ist schwerer und vieldeutiger zu verstehen als ein Text. Beweisführung: Oberer Blogeintrag.
Das schreit nach einer Antwort, werde ich auch geben 😉 Aber sehr fleißig recherchiert!
http://zurpolitik.com/2012/01/26/wie-viel-platz-brauchen-bus-auto-und-rad-in-der-stadt/
Im Nachtrag jetzt weitere Manipulationen aufgedeckt…