Ende Juni 1991. Die erste Etappe des Jugoslawienkriegs war voll angelaufen. Direkt an der Grenze schlugen Granaten ein. Panzer waren in den österreichischen Grenzorten vorgefahren. Es galt, durch massive Präsenz Abwehrbereitschaft zu signalisieren.
In dieser Situation also stehe ich am Balkon der Kompaniekanzlei. Ein Blick in den Himmel. Ein Flieger im Tiefflug über Graz. Draken sagt der erste Impuls. Doch der zweite Blick zeigt: Das ist kein österreichisches Flugzeug. Das ist eine MiG. Und die stammt definitiv nicht aus Österreich.
Sofort der Weg zum Kommandanten, Meldung machen. Der schüttelt ungläubig den Kopf: “Das müssen sie sich eingebildet haben, Herr Korporal!” Nachdem ich kurz in der Belgierkaserne bin, werde ich wieder ins Besprechungszimmer gerufen. Diesmal ist neben dem Kommandanten auch der Slowenisch-HLO dabei. Die Mienen sind ernst. Eben wurde vom Flughafen Graz Thalerhof gemeldet, dass eine jugoslawische MiG21 im Tiefflug über Start-/Landebahn gedonnert ist. Jetzt gibt´s keinen Zweifel mehr. Die Befragung beginnt. Nachdem die MiG offenbar zumindest teilweise unter dem Radar geflogen ist, geht´s um die Frage: Ist das Flugzeug nach einem Angriff auf slowenische Stellungen einfach eine zu große Schleife geflogen? Hat es nicht rechtzeitig vor der Staatsgrenze wenden können? Oder war es eine beabsichtigte Provokation? Die vermutete Flugroute wird rekonstruiert. Die Mienen bleiben ernst.
Am selben Tag fordert der Krieg die ersten österreichischen Opfer. Der österreichische Kameramann Nikolas Vogel, Sohn der Schauspielerin Gertraud Jesserer, und sein Fahrer Norbert Werner werden Opfer eines Angriffs auf den Flughafen Laibach. Sie hatten mitten im Kriegsgeschehen so nah an der österreichischen Grenze keine Überlebenschance. Der Schock sitzt tief, galt Nik Vogel doch auch als aufstrebender Schauspieler und hatte noch eine große Karriere vor sich.
Bei uns in Graz gibt es mittlerweile Schichtbetrieb, rund um die Uhr. Diverse Materialien werden übersetzt, neben dem zuständigen Offizier sind auch ganz normale EF, eben erst mit dem GWD fertig, eingesetzt. Die Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Eine eigene Hotline mit Kennwort sorgt dafür, dass wir in Notfällen rund um die Uhr den Minister direkt erreichen können.
Freilich bin ich selbst nur ein kleines Rädchen im Getriebe. Als Schreiber und Kanzleikraft ist es meine Aufgabe, Unterlagen abzutippen, Diktate aufzunehmen, Berichte zusammenzustellen und zu faxen und den Betrieb mit aufrecht zu erhalten. Die Nachtstunden sind lang und anstrengend. Pausen gibt es kaum, Schlaf nur sehr rationiert. Aber das Adrenalin hält wach. Und wer grad Zeit hat, versorgt alle mit Kaffee. Ja, auch ich war beim Bundesheer Kaffee-Koch und -servierer. Und das zu ziemlich unmenschlichen Nachtzeiten. Aber erniedrigt habe ich mich dadurch nicht gefühlt. Denn ich habe gewusst: Jeder wird gebraucht, alle müssen zusammenhalten. Zum Jammern ist später Zeit genug.