Wer kennt das nicht, den Moment, wo man glaubt, die eigenen Eltern nicht wiedererkennen zu können? Wo man völlig überrascht ist, dass sie auch einmal jung gewesen sind? Wo man sich fragt, was um Himmels willen sie 1968 gemacht haben?
Nun, diesen Sonntag habe ich meine persönliche Überraschung erlebt. Im Rahmen einer Aktion in unserer Pfarre tragen Pfarrgemeinde-Mitglieder ihr eigenes, persönliches Glaubenszeugnis vor: Warum glaube ich? Was mache ich eigentlich hier am Sonntag in der Kirche? Welchen Wandel hat mein Glauben erlebt?
Als ich diesmal meine Mutter sprechen hörte, war auch für mich die Überraschung groß. Und so möchte ich – diesmal als Gastbeitrag – meine Mutter zu Wort kommen lassen: mit einem Vater, der als aufgeklärter Naturwissenschaftler Frömmigkeit als Schwäche betrachtet, einer Erstkommunion im Zeichen ihrer Verspottung als Heimatloser – und ihrer vorübergehenden Begeisterung für den Kommunismus 1968.
Ja, ich gebe zu, für mich war´s eine Überraschung. Aber die Begründung, die sehr persönliche Herangehensweise an das Thema Glauben, hat mich und viele andere so berührt, dass ich es – mit Genehmigung meiner Mutter – hier veröffentlichen will.
Und zum Schluss von mir noch ein ganz persönliches: Danke, Mutti, dass es Dich gibt, auch wenn ich nie alles zurückgeben kann, was Du für mich getan hast, auch wenn ich nie alles verstehen werden, was Dir (nicht nur 1968) durch den Kopf gegangen ist.
GLAUBENSZEUGNIS
Für mich ist mein Glaube etwas sehr Persönliches, um nicht zu sagen Intimes. Daher fällt es mir gar nicht so leicht, in aller Öffentlichkeit darüber zu sprechen. Andererseits liegt mir aber sehr daran, meine Freude über diesen Glauben mit anderen zu teilen.
Das war früher nicht so. Diese Freude musste erst im Lauf meines langen und mit bitteren und schönen Erfahrungen reich beschenkten Lebens entstehen.
Mein Vater war ein „aufgeklärter“ Naturwissenschaftler. Und Frömmigkeit war für ihn ein Zeichen von Schwäche. Trotz vieler heftiger Diskussionen innerhalb der Familie sind wir zu keinem gemeinsamen Ergebnis gelangt – was für meine Mutter recht schmerzlich gewesen sein muss, da sie – trotz schwerster körperlicher und seelischer Belastung – immer tief gläubig war. Am Sonntag ging sie z.B. in aller Stille schon um 6h früh zur hl. Messe, um dann für die Familie voll da sein zu können. Ihre Frömmigkeit war nie ein Hindernis für ihre weltlichen Aufgaben – im Gegenteil: sie wurde froh und war für uns ein Beispiel an Geduld für- und miteinander.
Mein erstes tiefes religiöses Erlebnis war die erste hl. Kommunion: Alles – der Spott anderer Kinder über unsere Heimatlosigkeit und unsere Armut – verlor seine Bedeutung neben der kindlichen Bereitschaft, Jesus, der die Menschen bedingungslos liebt – besonders die ausgegrenzten – endlich empfangen zu dürfen. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als ganz zu Ihm kommen und mit ihm für andere leidende Menschen da zu sein. Ich wollte die erste heilige Ingrid werden; denn bis jetzt gibt es ja nur eine selige Ingrid von Schweden …
Mit 8 Jahren fragte ich meine Mutter, wozu wir eigentl. auf dieser Welt sind. Sie war so verdutzt, dass sie mir einfach die damals noch klare und selbstverständliche Antwort aus dem Katechismus gab: “ Um Gott zu lieben, ihm zu dienen und ewig selig zu werden.“ Na – damit konnte ich ja nicht wirklich viel anfangen! Aber dieser Satz hat mir bis heute immer wieder zu denken gegeben.
Die große Krise kam in meiner Studentenzeit – es waren die 68-Jahre, in Frankfurt – mit nächtelangen philosophischen, theologischen und soziologischen Diskussionen, die mich ganz eindeutig zu der Erkenntnis führten, dass der Kommunismus die beste und gerechteste Gesellschaftsform ist, zu der man außerdem nicht einmal das Christentum braucht! Also warf ich alles, was mir bis jetzt lieb und heilig war, über Bord und versuchte, ganz auf eigenen Beinen zu stehen und selbst für die Gerechtigkeit zu kämpfen.
Es dauerte nicht lange, bis ich einsah, dass dieser Lebenseinstellung das Wichtigste fehlte, und dass sich eine große Leere und Sinnlosigkeit breit machte: Es fehlte die Liebe, das Gefühl einer Verantwortung gegenüber der – ja sagen wir einmal – „Macht“, die uns erschaffen hat und zu der wir, wenn wir nach unserer Bestimmung (nach „Gottes Ebenbild“) leben würden, wieder zurück kehren durften. Denn irgendein sinnvolles Ende – oder Ziel? – musste der Mensch doch haben!?
Das war eine Frage, die der Kommunismus nicht beantworten konnte.
Ich begann, die großen Mystiker, Angelus Silesius, Augustinus u.a. zu lesen und entdeckte immer schönere und tiefere Bilder von diesem Gott, der die Menschen so liebte, dass Er sogar als Mensch unter uns lebte, sich verspotten und ungerecht zu Tode martern ließ – damit wir unser Leid leichter ertragen und mit Ihm „für die Welt“ das Leid tragen konnten.
ER wurde mir immer vertrauter. Ich erkannte Ihn im Gebet, ich spürte Ihn in der bittersten Einsamkeit, ich erlebte Ihn in der Zuneigung (eines) andere(n)r Menschen – und auch an manchem Sterbebett.
Und wenn der Alltag wieder einmal die Seele zu ersticken droht, ist Er mir nah, besonders in der hl. Messe. Diese kurze Auszeit von Alltag, Terminen und Verpflichtungen, ist für mich wie eine klare, ungetrübte Quelle, die immer fließt, die reinigt und stärkt und die lebenspendende Verbindung zwischen Gott und mir und zu den Menschen neben mir wieder öffnet.
Es ist eine wunderbare Erfahrung, wenn man die Mitmenschen als Seine Kinder sieht – mit all ihren kleinen und großen Fehlern, ja sogar Bosheiten, die sie (wir) ja sogar Seinem Sohn angetan haben. ER liebt sie so, wie sie sind – und mich, so wie ich bin.
Es ist eine verständnisvolle, verzeihende und ermutigende Liebe, die auch wir einander schenken können und sollen – und die uns niemand nehmen kann.