Mit einer kleinen Wallfahrt nach Mariazell habe ich am 1. Oktober meine Tätigkeit in der ÖVP im 20. Jahr symbolisch abgeschlossen. Mit Montag trete ich meine neue Arbeit an.
Jobwechsel von der Landesverteidigungsakademie: Start in der ÖVP Wien:
Ganz ehrlich: Es war eine tolle Zeit, die ich um nichts in der Welt missen möchte. Zuerst habe ich (so ab 1996/97) der ÖVP Wien “das Internet, das sich sowieso nie durchsetzen wird” eingeführt, und zwar komplett: Von der Anbindung der Landespartei und Bezirke über Mail und Homepage bis zu “New Media” Diensten wie Intern-Bereich, WAP oder SMS-Service. Ja, sogar das erste evoting haben wir bereits 1999 parteiintern abgehalten – auf einem Sicherheitsstandard, der etwa dem später eingeführten ebanking entsprochen hat.
Jobwechsel in die Bundespartei
2000 hat mich dann der Ruf in die Bundespartei ereilt. Angefangen haben wir dort mit einem Zuständigen für alle technischen Webagenden in der EDV und mir als Presseredakteur, der “dieses Online-Zeux” so nebenbei betreut hat – also neben normalen Redaktionstätigkeiten, CvD-Dienst etc. Bald aber sollte der Online-Bereich schlagartig an Bedeutung gewinnen.
Pionier- und Aufbauarbeit im gesamten Zukunftsbereich
So habe ich schließlich die eigenen Bereich Web, Multimedia, Social Media und Webredaktion aufgebaut und an der Entstehung des Bereichs Webentwicklung mitgearbeitet. Unter acht Generalsekretären und unzähligen Chefs war ich mit diesen Bereichen der Reihe nach und nach in den Abteilungen / Direktionen Presse, EDV, Kommunikation unter jeweils wechselnden Namen und Bedeutungen tätig, bis ich schließlich selbst zuerst Teamleiter und dann Abteilungsleiter Web & Multimedia (& Social Media) wurde.
Großer Aufgabenbereich, starke Teams
In dieser Zeit durfte ich Teams zwischen 10 und 15 Mitarbeitern leiten – in Wahlkämpfen auch locker einmal doppelt so viel. Mein Team beschäftigte sich mit Webentwicklung inkl. Cybersecurity mit Hackerabwehr, Webredaktion, Video, Foto, Webgrafik, Freiwilligenbetreuung, Netzpolitik, Coaching, Newslettern, Zielgruppenbetreuung, interner Kommunikation, SMS-Informationen, WhatsApp-Gruppen, Kampagnen, Advertising, Printartikeln, Recherche, Gegnerbeobachtung, unterschiedlichsten Formen des Campaignings, Analyse inkl. Sentiment, Reporting und vielem, vielem mehr.
Mein Wissen und meine Erfahrung konnte ich in zahllosen Seminaren im In- und Ausland weitergeben und habe auch – gemeinsam mit Kollegen – das Handbuch “Politik 2.0” in der mittlerweile zweiten Auflage geschrieben.
20 Jahre ohne Pause
Der ständige 24/7 Dienst, die durchgehende Erreichbarkeit, das Arbeiten in den Nächten, Wochenenden und in den Ferien war kein Honiglecken und hat unheimlich viel Substanz gekostet. Aber ich habe mir das aus gutem Grund selbst ausgesucht: Es war spannend, ständig neue Pioniertätigkeiten für die ÖVP im Online-Bereich zu schaffen, immer als einer der ersten informiert zu sein und die Information weiter zu geben und es hat mir einfach unheimlich Spaß gemacht. Ich möchte diese Zeit um keinen Preis der Welt missen.
Ein überfälliger Jobwechsel
Als dann schließlich vor mehr als einem Jahr die Entscheidung gefallen ist, dass ich die ÖVP doch verlasse, ist mir dieser Schritt alles andere als leicht gefallen, obwohl ich wußte, dass er für mich absolut alternativlos war. Zu viel an Herzblut hatte ich investiert, zu viel von mir persönlich steckte in jedem einzelnen kleinen Bereich und ich hatte einfach immer noch zu viel Spaß dabei – bis zuletzt, im Wiener Wahlkampf 2015, in dem ich kurzfristig als “Retter in der Not” im Online-Bereich eingesprungen bin – leider sehr, sehr spät. Ja, das Ergebnis war eine Katastrophe, aber in meinem kleinen Web- und Social Media Bereich mussten wir keinen Vergleich scheuen.
Raubbau bleibt nicht folgenlos
Aber ich muss ehrlich zugeben: Der ständige Raubbau an Geist und Körper, der Verzicht auf Privatleben, die ständige Erreichbarkeit und ununterbrochene Arbeit haben ihren Tribut gefordert. Die ÖVP, der Online-Bereich, war mein Leben geworden. Das hat der ÖVP zwar enormes Engagement und mir viel Freude gebracht, aber mehr und mehr war mir klar geworden, dass die ÖVP als Geliebte, als einziger Lebensinhalt, der bedingungslose Gefolgschaft fordert, nicht mein einziges Lebensziel sein kann. Und es geht auf Dauer einfach nicht, sich total zu verbiegen, um alles und jeden aus der eigenen Partei zu verteidigen.
Ich bleibe der ÖVP eng verbunden. Ich finde in ihr den Großteil meiner Werte wieder, fühle mich in der ÖVP schlicht und einfach zu Hause. Ich sehe in der ÖVP als einer der wenigen nach wie vor viel Zukunftspotenzial, das nur einmal genutzt werden muss. Und ich sehe in der ÖVP große Talente, Persönlichkeiten, vor denen ich höchsten Respekt habe und die für die Partei und für Österreich noch viel erreichen werde. Und ja, ich meine damit auch Sebastian Kurz – aber auch andere Talente, die noch nicht so in der Öffentlichkeit stehen.
Der ÖVP Penzing bleibe ich vorerst erhalten – wenn auch eher im nicht-operativen Geschäft. Es macht mir einfach zu viel Spaß, meinen eigenen Bezirk mitzugestalten. Aber ich werde mich nicht mehr unter Druck setzen lassen, sondern die Freude in den Vordergrund stellen.
Aber jetzt brauche ich Zeit für mich, ich brauche Zeit, mich auch einmal auf mich selbst zu konzentrieren, Lebensfreude zu finden und zu genießen und für mich selbst etwas weiter zu bringen. Es bringt mir nichts, wenn ich zwei Studien de facto beendet habe – und dann jahrelang die Magisterarbeit nicht zu Ende bringe (nur um einmal ein Beispiel zu nennen). Das wird ein ganz großes Ziel der nächsten Zeit.
Und ich möchte etwas Neues machen, bei dem ich weitere Kompetenzen sammeln kann – in Gebieten, wo mir diese Kompetenz noch fehlt. Daher wechsle ich für viele überraschend ins Finanzamt, wo ich mir eine sehr lehrreiche Zeit erhoffe, die mir auf dem von mir sträflich vernachlässigten Gebiet der Finanzen neue Kompetenzen, neue Erfahrungen und neue Herausforderungen erwarte.
Jobwechsel: Ein großer Einschnitt
Für mich ist dieser Wechsel einer der größten Einschnitte meines beruflichen Lebens. Nach der Matura war ich als Nachrichtenoffizier beim Bundesheer, danach ging´s völlig branchenfremd zum Bereich “New Media” zur ÖVP und nun steht also mein erst zweiter Branchenwechsel bevor. Ich geb zu: Ich bin schon gespannt und total aufgeregt!
Zum Schluss möchte ich allen danken, die mich in den letzten Jahrzehnten so treu, loyal undunterstützend begleitet haben – egal, ob als Mitarbeiter, Kollegen oder Chefs. Ich habe Euch viel zu verdanken, viel gelernt und viel mitgenommen. Mit den treuesten und wertvollsten Freunde konnte ich in der ÖVP-Familie bis zuletzt Kontakt halten – danke für Eure große Hilfe! Um niemanden zu vergessen und niemanden zu reihen, nenne ich hier noch keine Namen – werde das aber in ein paar folgenden Blogeinträgen, in denen ich Euch die Webgeschichte der ÖVP ein bisschen “backstage” berichten möchte, noch nachholen.
Viel gelernt: Erfolge und Narben
Ich habe in diesen zwei Jahrzehnten viel gelernt – sachlich, aber auch für mich persönlich. Ich habe gelernt, dass Grenzen dazu da sind, ausgereizt und überwunden zu werden. Ich habe gelernt, Mögliches umzusetzen und Unmögliches möglich zu machen. Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, als Erster vorn dabei zu sein. Ich habe gelernt, welchen Vorteil es bringt, als 24/7-Nachrichten- und New Media Junkie eine fixe Rolle als unverzichtbarer Informationsvermittler zu spielen.
Freilich, nicht alles war rosarot – und gerade durch meine Fehler habe ich mindestens ebenso viel gelernt. Ich habe gelernt, dass die ÖVP, dass mein Betrieb, als Geliebter keine reale Beziehung ersetzen kann. Ich habe gelernt, dass die völlige Umkehrung von nach oben buckeln und nach unten treten nicht wirklich sehr zielführend ist.
Selbstreflexion: Aggression oder Harmlosigkeit?
Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, den eigenen, sachlich richtigen Standpunkt, auch gegen Widerstände von oben zu vertreten – dadurch aber nicht automatisch als “Blockierer” da zu stehen. Ich habe gelernt, dass es nicht zielführend ist, in direkter Konfrontation vermiedene Emotionsausbrüche auf anderem Weg nachzuholen. Ich habe gelernt, wie wichtig Image und Selbstverkauf sind, wie wichtig Brutalität im Berufsleben ist. Und ich werde mich nie wieder so harmlos geben wie bisher.
Gerade durch den persönlichen Offline-Austausch mit vielen meiner Twitter-Follower und Facebook-Freunden habe ich begonnen, ein ordentliches Maß an Selbstreflexion zu entwickeln, auch wenn ich das meiner Meinung nach viel früher gebraucht hätte. Aggression ist auch rein verbal keine Lösung (egal wie berechtigt sie manchmal wirken mag): Ziehe die feine Klinge immer der brutalen Axt vor! Aber zieh Dich nicht feige zurück!
Newsjunkie auf Entzug
Ja, und es wir mir viel abgehen. Schon 20 Jahren bin ich durch unterschiedlichste Quellen – nicht nur, aber vor allem auch die APA – immer als einer der Ersten informiert und kann diese Information auch als Erster weitergehen, werde mit und wegen solcher Informationen oft mit besonderem Interesse verfolgt und retweetet. Das wird es im neuen Job nicht geben, das kann auch gar nicht mein Ziel sein. Jetzt kommt die lange Entwöhnungsphase des 24/7-Newsjunkies.
Freilich hat das auch große Vorteile: Niemand kann von mir erwarten, weiter so topaktuell auf den Sozialen Medien unterwegs zu sein, jetzt gilt es, sie sachlich kompetent und mit mehr Nachhaltigkeit zu nutzen. Das KANN auch ein Vorteil sein. Vor allem aber ist der Wegfall dieses 24/7-Drucks auch der Wegfall der Verpflichtung, rund um die Uhr, sieben Tage die Woche, ALLES SOFORT wissen zu müssen und egal wie sofort agieren zu müssen. So habe ich aus dem Kinosaal raus müssen, um mal schnell eine dringende Information zu verschicken.
Menschlich das Limit überschritten
Und manchmal, so muss ich zugeben, war es auch mir zu viel. Während ich für meine sterbenskranke Mutter am Samstag zusätzliche Medikamente auftreiben musste, kam die genervt klingende Frage, warum ich gewissen Informationen noch nicht versendet hatte. Und als ich beim Einzug zum Abschluss des Europa-Wahlkampfs 2014 live mittwitterte (weil bei zwei Ersatzleuten die Verbindung ausgefallen war), hatte ich gleichzeitig den Notarzt bei meiner Mutter am Ohr, der mich über ihren dramatischen Zustand unterrichtete und wissen wollte, ob er sie noch ins Spital bringen sollte oder sie zu Hause sterben wolle. Fünf Tage später war sie tot…
Freilich gab es auch fürsorgliche Momente – etwa, als ich nach meiner Bandscheibenoperation unbedingt vom Spitalsbett aus zum Parteitag mittwittern wollte und meine Chefin meinen Mitarbeitern gesagt hat, sie sollen mich sofort dazu bringen, das Notebook wegzulegen oder mein Chef einem Kollegen während einer Wahlkampftour auftrug, auch ein bisschen drauf zu schauen, dass ich´s nicht übertreibe.
Schluss mit dem ständigen Schuldgefühl
Es ist das, was mir nicht abgehen wird: Das ständige Gefühl, etwas nicht erledigt zu haben, etwas nicht erledigen zu können, etwas aufschieben zu müssen, das eigentlich unaufschiebbar aber faktisch noch nicht umsetzbar ist. Der letzte Gedanke vorm Einschlafen an die noch unerledigte Arbeit, das schlechte Gewissen beim Aufwachen. Aber retrospektiv muss ich ehrlich zugeben, dass der Fehler auch bei mir gelegen ist: Es war nicht so schlimm, wie ich mir ausgemalt hatte. Und hätte ich nicht oft zu so einem detailverliebten Perfektionismus gehalten, wären viele Projekte früher und problemloser erledigt gewesen. “Mut zur Lücke”: Das Motto werde ich mir groß einrahmen und hofffentlich auch bei meinen Diplomarbeiten berücksichtigen (damit der Professor / die Professorin nicht wieder anfangen muss: “Das ist eine Diplomarbeit, keine Dissertation!”).
Lebensfreude gesucht
Und jetzt? Jetzt konzentriere ich mich einmal in allererster Linie auf den neuen Job, gerade am Anfang wird es noch besonders viel zu lernen geben. Ich werde meine Magisterarbeiten beenden, Schulungen, Coaching, und Seminare machen, zu bestimmten Themen meine Inputs veröffentlichen, bloggen und viel schreiben. Ich werde Privatleben entwickeln, an meiner Persönlichkeit arbeiten und einfach mal zu echter Lebensfreude zurückfinden. Und über all das werde ich niemandem Rechenschaft schuldig sein. Ein schönes neues Gefühl. Mal sehen, ob es den Jobwechsel einfacher macht…
P.S.: Würde mich sehr über Eure Einschätzung und Reaktionen freuen. Gerade jetzt brauche ich Euer Feedback, um meinem Leben eine neue, eine bessere Richtung zu geben. DANKE!