Am 27. Jänner haben wir von unserem ehemaligen Bundesheer-Kommandanten, Leiter der Ausbildung der Fremdsprachen-Milizoffiziere, am Grazer Friedhof St. Peter Abschied genommen. Obst Hutter war einer der prägendsten Menschen im Leben, und so möchte ich ihm hier einen persönlichen Nachruf widmen, der natürlich nur kurze Ausschnitte enthält.
Offizier von Kaisers Gnaden
Kennengelernt habe ich den Oberst, als wir zur fremdsprachlichen Ausbildung in Graz von der Gablenzkaserne in die Kirchnerkaserne versetzt wurden. Ein sehr harscher, Ehrfurcht gebietender Offizier hielt eine starke Begrüßungsansprache. Er erinnerte an eine lang vergangene Zeit. Mein Sitznachbar meinte „Der reinste k&k Offizier, fehlt nur noch das Monokel“. Und tatsächlich: Kurz darauf klemmte er sich tatsächlich ein Monokel vors Auge.
„Wie“ ein Gott
Das erste Mal EF (Einjährig Freiwilliger = Milizoffiziersausbildung) war für mich von einem harten Schicksalsschlag überschattet. Im Jänner 1991 ist mein Vater verstorben. Es ist auch meinen Kameraden und Freunden, meinen Vorgesetzten zu verdanken, wie gut ich diese Zeit verkraftet habe. Mein Vater war immer der „Pater Familiae“ im Sinne einer letzten, gottgleichen Instanz. Er hat ein riesiges Loch hinterlassen, das meine Mutter allein nicht füllen konnte. Ganz im Gegenteil: Als Ältester sollte ich nun „der Mann im Haus“ sein, eine Rolle, die ich nie so erfüllen konnte, wie es wohl erwartet wurde.
In Graz aber war Oberst Hutter die gottgleiche Instanz. Beim Begräbnis hat seine Tochter erzählt, er wäre „wie ein Gott gewesen“. Meine Kameraden und ich fragten sich unisono: Was heißt hier „wie“ ein Gott?
Oberst Helmuth Hutter hat mich durch die Zeit des Erwachsenwerdens gebracht. Nein, nicht als Vaterfigur. Sondern als jemand, der einem gezeigt hat, wie man selbst Verantwortung übernimmt und die Folgen trägt. Er war streng, gerecht, hat sehr viel gefordert, aber bei Talent auch gefördert. Man hatte Ehrfurcht, ja direkt Angst vor ihm. Aber man wusste, dass man nicht seinen Launen ausgeliefert war, sondern es selbst in der Hand hatte, wie er einen behandelte. Sein Kommando war anstrengend, entbehrungsreich und extrem fordernd. Aber es lohnte sich.
“Wir sind hier keine Mahlzeitkompanie!!!“
Oberst Hutter hatte ein klares Standesdenken. Das hatte freilich nichts mit der Abstammung zu tun. Der Offiziersstand war ein Stand, den man sich hart erarbeitete und erst erreichte, wenn man ihn sich wirklich verdient hatte. Da gab es keine Ausnahmen. Benehmen wurde im letzten Teil der Ausbildung beim abwechselnden Besuch einiger Jahrgangsteilnehmer im Offizierskasino geübt. Was der Oberst aber gar nicht mochte, waren nonchalante schleißige Umgangsformen. Ein dem Beamten-Slang geschuldetes „Mahlzeit“ beim Salutieren an den Oberst gerichtet und schon schallte es laut über den Kasernenhof „WIR SIND HIER KEINE MAHLZEITKOMPANIE!!!!!!!“.
Gleichzeitig lernte man, stolz darauf zu sein, was man erreicht hatte. In der Nachbarschaft, in der Schule oder der Pfarre war ich der „Sohn vom Universitätsprofessor“. Klingt wahnsinnig toll, hat aber nichts damit zu tun, was man selbst erreicht hat. Der eigene Stand war von den Eltern bestimmt. Bei Oberst Hutter spielte das keine Rolle. Hier musste man sich seine Stellung schwer verdienen.
Erster Anlauf gescheitert
Mein erstes EF-Jahr war nicht gerade von Glück gesegnet. Nach dem Tod meines Vaters brauchte ich Zeit, um wieder zu mir zu finden. Und ich hatte – wer mich kennt den wird´s nicht wundern – eine lange Verletzungsserie. Nachdem ich einmal nach 2 Wochen aus dem Militärspital zurückgekommen war, ließ mich der Oberst zu sich rufen und teilte mir mit, dass meine Zeit als EF wegen Versäumens zu großer Teile der Ausbildung vorbei war. Ein harter Schlag, auch wenn aus Sicht der Ausbildung vollkommen gerechtfertigt. Ich stand nun vor der Wahl: Abrüsten oder als normaler Korporal in der Kanzlei weiterdienen. Nachdem ich die Hoffnung nie ganz aufgab, entschied ich mich für die Kanzlei. Klar, es hatte noch nie einen Fall gegeben, indem man beim EF-Jahr eine 2. Chance bekam (oder sich die ganze Quälerei noch mal antun wollte). Aber es ist nicht meine Art, aufzugeben. Egal, wie schlecht die Chancen erscheinen. Eine Eigenschaft, die mir später bei meinen Krebserkrankungen sehr helfen sollte (auch wenn ich Phasen hatte, in denen ich mich vollkommen aufgab. Aber ich habe sie überwunden). Ja, noch nie hatte jemand die Chance, den EF-Jahrgang zu wiederholen. Aber das hieß ja nicht, dass ich nicht der erste sein könnte, der beim zweiten Versuch Offizier wird. So unwahrscheinlich es auch war.
Krieg
Dann kam jener berühmt-berüchtigte 27. Juni 1991, als jugoslawische Truppen Slowenien, das sich eben unabhängig erklärt hatte, angriffen. Internet gab es damals keins, kein Handy, kein WhatsApp, keine Push-Nachrichten, kein Twitter. Und so waren wir etwas beunruhigt, als auf einmal die Kasernentore versperrt, die Umzäunung mit Stacheldraht gesichert und die Münztelefone versiegelt wurden. Oberst Hutter rief uns alle in den großen Lehrsaal. Mit ernster Miene, die Adern an der Stirn weit hervorgetreten, das Monokel im Auge fest verhakt, begann er – getreu seinem k&k-Stil – laut donnernd: „Serbien muss sterbien!“. Diesen Satz werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Serbien war damals das, was heute Russland ist. Nur dass der Krieg genau an unserer Grenze stattfand – inklusive Treffern in Österreich. Wir waren noch im Taumel der Befreiung des ehemaligen Ostblocks, als uns dieser Überfall wie ein Hammerschlag traf. Doch der Oberst kannte kein Zaudern: klare Befehle, klare Lageschilderung, keine Diskussionen. Wir wussten, woran wir waren. Es war gefährlich. Es konnte hart werden. Aber wir hatten einen Kapitän, der uns durch den schlimmsten Sturm bringen würde.
„Das waren keine Draken“
Wenige Tage später stehe ich am Balkon der Kanzlei. Zwei Kampfjets donnern im Tiefflug über Graz. Das sind keine Draken, nein, da bin ich sicher. Ich melde das meinem Vorgesetzten, der das allerdings nicht allzu ernst und für denkunmöglich hält: „Geh, Laubfrosch (mein Spitzname, aber das ist eine andere Geschichte), da wirst Dich halt geirrt haben.“ Als ich dann von einem kurzen Termin im Militärspital zurückkomme, beginnt die hochnotpeinliche Befragung: Wie genau sahen die Flieger aus? Wie schnell flogen sie? Welche Richtung? Von wo? In der Zwischenzeit wird meine Geschichte ernst genommen, den eben jene Flieger, zwei jugoslawische MiG, waren im Anschluss in wenigen Metern Höhe über die Start-/Landebahnen am Flughafen Graz Thalerhof gedonnert.
24/7
Der Slowenien-Krieg wurde zu einer Bewährungsprobe. Rund um die Uhr wurde bei uns in einer eigenen Gruppe gearbeitet. Ich kümmerte mich um den 24/7-Kanzleidienst, bei dem ich mich mit Kameraden abwechselte. Gut erinnern kann ich mich noch an jenen Nachmittag, an dem mir Oberst Hutter persönlich die Übersetzung eines wichtigen Dokuments bis in die Nachtstunden diktierte. Damals starte ich auch meine erste Medienbeobachtung und erstellte auf eigene Initiative täglich umfangreiche Pressespiegel.
Unsoldat
Die intensive Arbeit aber hat sich gelohnt. Eines schönen Sommertags rief mich der Oberst in sein Büro. Unvergessen der Satz: „Loub, Sie sind ein Unsoldat, aber ich mag Sie, Sie können bleiben!“ Das war nicht mehr und nicht weniger als die Einladung, die EF-Ausbildung mit dem neuen Jahrgang fortzusetzen! Ich konnte vor Freude nicht an mich halten! Doch ich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits mein Jus-Studium für das kommende Semester geplant.
Oberst Hutter, der mich unbedingt halten wollte, ging tatsächlich auf meine Bedingung ein, nebenbei studieren zu können und hielt in bewundernswerter Weise sein Wort, so schwierig und herausfordernd das oft auch war. Und so kam es zu kuriosen Situationen – etwa, als eine Gefechtsübung auf der Seetaler Alpe extra unterbrochen wurde, damit mich ein Fahrer gefahrlos abholen konnte und mich anschließend direkt zur Prüfung an die Karl-Franzens-Universität nach Graz brachte. Freilich war auch das Lernen selbst während des EF-Jahrs eine immense Herausforderung. Zeit blieb meist nur spät in der Nacht, oder am Wochenende, das ich dann oft in der Kaserne in Graz verbrachte.
Unmöglich
Oberst Hutter hat für mich Dinge möglich gemacht, die als unerreichbar gegolten hatten. Er hat mir gezeigt, dass es sich lohnt, Engagement zu zeigen, nicht aufzugeben, selbst wenn man scheinbar hoffnungslos am Boden liegt. „Das Unmögliche möglich machen“ ist durch seine Führung nicht mehr eine reine Floskel gewesen, sondern ein Lebensmotto.
Stärke zeigen, Schwäche verstecken
Oberst Hutter hat mir aber auch eindrucksvoll bewiesen, wie wichtig es ist, Härte gegen sich selbst zu zeigen, so unmöglich es manchmal zumindest scheint. Krankheit und Verletzungen lassen einen tief abstürzen, manchmal am Leben verzweifeln, wie es mir bei meinen Krebserkrankungen passiert ist. Aber sie sind kein Grund, verpassten Chancen nachzuweinen, sondern diese nachzuholen.
In meinem zweiten EF-Jahrgang habe ich das besonders deutlich zu spüren bekommen: Krank sein durfte jetzt nicht mehr passieren. Und so passierte es etwa, dass ich – eigentlich im Krankenstand – wegen extremer Rückenschmerzen mit heftigen Schmerzmitteln zugedröhnt im Schützengraben Nachwache hielt. Gut, es lief nicht perfekt. Ich schlief wegen der heftigen Nebenwirkungen im Stehen ein, der Freund, der mit mir Wache hielt, hörte dank Ohrhörern nichts, weil er sich mein Radio ausgeborgt hatte. Das Donnerwetter, als wir dabei erwischt wurden, hat sicher sämtliche Tiere des Waldes verscheucht.
Es klingt jetzt verdammt einfach, ist es aber nicht: Nach jeder Krankheit, jeder Verletzung, jedem Tiefschlag ist es wichtig, gestärkt zurückzukommen und das besonders demonstrativ unter Beweis zu stellen. Es ist auch unverzichtbar, um in den Augen der Mitmenschen für voll genommen zu werden. Krankheit macht schwach. Krankheit überwinden stärker.
Oberst Hutter einer der prägendsten Menschen
Nein, Oberst Helmuth Hutter war kein Heiliger, beileibe nicht. Er hatte seine Fehler, wie jeder andere Mensch auch. Aber er war ein Mann mit Rückgrat, der andere gelehrt hat, wie viel man im Leben erreichen kann, wenn man nur hart und kompromisslos genug daran arbeitet. Oberst Helmuth Hutter war einer der prägendsten Menschen in meinem ganzen Leben. Ich werde, nein, ich kann nie vergessen, was er in meinem Leben bewirkt hat. Und ich werde ewig dafür dankbar sein.